Verdammte nondualität- du geiles Stück!

oder auch:  Warum manche sagen, dass es keinen Weg gibt, andere sagen, dass es einen Weg gibt und alle  zugleich Recht und Unrecht haben

Richard Sylvester schreibt in seinem Buch mit dem schön-schaurigen Titel 'I hope you die soon!', dass es keinerlei Unterschied macht, ob jemand 30 Jahre meditiert oder 30 Jahre Alkoholiker ist. Erwachen steht in keinem Zusammenhang damit.

Aus dem Mund eines Meditationslehrers mit 30 Jahren Erfahrung ein starkes Stück, würde ich mal sagen!

Ich bin mir nicht ganz sicher, ob er damit Recht hat. Zumindest ist mir kein Fall bekannt, bei dem ein schwer Alkoholabhängiger mit entsprechenden neurologischen und organischen Folgeerscheinungen, wie z.B. dem Korsakoff-Syndrom eines Tages, nach 30 Jahren Dauersuff seine wahre Natur erkannt und dies zu einer permanenten Veränderung der Wahrnehmung geführt hat. Es mag selbstverständlich möglich sein- zumal es streng nondual gesehen weder Alkohol noch Alkoholismus gibt.

Allerdings lehne ich mich an der Stelle vermutlich nicht allzu weit aus dem Fenster, wenn ich ganz kühn behaupte, dass die Erfolgsrate, also die Anzahl 'Erwachter', in weitestgehend 'spirituellen' Kreisen doch deutlich höher sein dürfte, als in 'Spirituosen-Kreisen'. Ob das tatsächlich daran liegt, dass die einen auf einem Kissen sitzen, während die anderen aus Kisten saufen? Oder ob es davor schon zu einer Selbstselektion kommt, bei dem jene mit einer Neigung zum Erwachen sich in die eine Gruppe, und jene mit einer Neigung zum Delirium in die andere sortieren? Ich weiß es nicht und es wird wohl auch nicht zu einem kontrollierten Experiment kommen, da hätte jede Ethik-Kommission berechtigte Einwände.


Von diesen Zweifeln an der Richtigkeit der Aussage abgesehen, hat Richard Sylvester aber natürlich auch Recht. Er, wie auch sein Freund Tony Parsons und viele andere 'Nicht-Lehrer' vor ihnen (z.B. U.G. Krishnamurti) haben völlig korrekt erkannt, dass es keinen Link zwischen unserer wahren Natur und irgendwas wie einer 'Person' gibt. Unsere wahre Natur, das Absolute, das Nichts, dieses unendlich große, schwarze Weite- es hat keinerlei Merkmale! (Womit der ganze vorherige Satz natürlich schon wieder riesiger Mumpitz ist- my bad!)


Wie soll also etwas, was nicht einmal etwas ist, sondern eben Nichts in irgendeiner Weise mit dem, was wir im Rahmen der 'Konsens-Realität' reichlich willkürlich als 'ich' bezeichnen und es mit Attributen, Daten und biographischer Story versehen in Zusammenhang stehen? Eben. Geht nicht.


Und es wird noch komplizierter. Denn genau genommen kann dieses Nichts, das Absolute was wir sind auch nichts sagen. Also wäre es vermutlich gut, entweder schlichtweg die Klappe zu halten oder aber ganz deutlich zu machen, dass wann immer ein Tony Parsons, ein Richard Sylvester oder auch ich über das Erwachen und das Absolute sprechen, da eben nicht das Absolute selbst spricht, sondern ein Mensch, der seine wahre Natur als das Absolute erkannt hat. Das Absolute spricht nicht. Es hat keine Worte- es ist der Raum, in dem Worte entstehen und vergehen. Das Absolute ist der Raum für alles. Für Menschen, für Kriege, für Fürsorge und für Krankheiten- eben für ALLES. Wirklich alles. Auch für schwurbelige Texte, wie der, der hier gerade entsteht...


Und wo wir bei 'Alles' sind: dort liegt auch ein weitverbreiteter 'Fehler': Es gibt keinen freien Willen. Das Libet-Experiment, eines der bahnbrechendsten Experimente der Neurowissenschaft führt das sehr deutlich vor Augen. Experimente mit 'Split-Brain' Patienten unterstützen diese Sicht. Vermutlich genau wegen der weitreichenden Implikationen für Rechtsprechung, Gesellschaft etc. werden diese Befunde aber tunlichst ignoriert. Und das obwohl schon Schopenhauer wusste: 'Der Mensch kann wohl tun, was er will- aber er kann nicht wollen, was er will.'

Niemand kann von heut auf morgen 'frei' entscheiden, dass er von nun an lieber Schoko- statt Erdbeereis isst. Es ist einfach eine Vorliebe für irgendeine (oder mehrere ;-) Eissorten vorhanden, die wird dann gekauft und gut iss. Diese Vorlieben und Abneigungen kann man zwar versuchen irgendwie zu begründen- bei Erdbeereis vermutlich schwieriger als rationale Entscheidung rüberzubringen, als bei sagen wir der politischen Einstellung- das Libet- Experiment in all seinen Variationen zeigt aber unmissverständlich, dass die rationalen Erklärungen der Entscheidung zeitlich nachgeordnet sind. Ob nun Erdbeereis oder politische Einstellung, Fakt ist, dass man sich auch letztere nicht irgendwie 'frei' aussucht. Natürlich möchte Ego genau das aber gerne denken. Ego mag es, sich vorzugaukeln, die eigene politische Einstellung sei frei gewählt, weil man eben so schlau und gebildet ist- während die Einstellung des politischen Gegners natürlich auch von ihm frei gewählt wurde, in dem Fall aber natürlich, weil er halt so dumm und ungebildet ist. Aber, ist das wirklich so? Denkt ein Nazi von sich, dass er böse, dumm und ungebildet ist? Certainly not! Kannst Du als, sagen wir mal Links-Autonomer Dich morgen Mittag um 12 dazu 'frei' entscheiden fortan Nazi zu sein? Selbst angenommen Du würdest es 'wirklich' versuchen, weil wir beide jetzt eine Wette abschließen und Du gern gewinnen willst, um mir meinen Irrtum vorzuführen- ginge das? Ernsthaft? Und wenn 'ja': für wie lange?


Bezogen auf die Aussage von Richard Sylvester & Co heißt das: Ok, mag sein, dass es für das Erwachen egal ist, ob ich meditiere oder saufe- aber wozu darüber reden? Es gibt 'mich' nicht und das, was 'ich' als 'mich' bezeichne (im Rahmen der Konsens-Realität) hat keinen freien Willen. Das heißt wiederum, wenn meditiert werden soll, wird meditiert, wenn gesoffen werden soll, wird gesoffen. So what?

Es gibt darüber hinaus aber auch noch ein anderes, vielleicht sogar größeres 'Problem' mit der 'Nicht-Lehre' Haltung: Hinterher ist man immer schlauer! Nachdem man durch das sogenannte 'torlose Tor' hindurch gegangen ist, ist völlig klar: es gibt keinen Weg und den gab es auch nie. Es gab auch nie ein Tor, es kam einem nur irgendwann mal so vor. Schön und gut- und deckt sich definitiv auch mit 'meiner' Erfahrung.

Aber: Das sagen sie alle danach- post hoc! Post hoc Aussagen sind schon in der Wissenschaft der Konsens-Realität von äußerst zweifelhaftem Wert. Hinterher ist man immer schlauer- das hilft aber nicht für vorher!

Den Übergang von vorher zu hinterher- diesen klitzekleinen Schritt, der letztendlich den ganzen, fundamentalen Unterschied ausmacht- den kann man, da bin ich ganz bei Richard Sylvester, Tony Parsons und allen anderen, die diese Position vertreten- diesen entscheidenden Schritt kann man nicht selbst machen. Das wird einem geschenkt- oder eben auch nicht. Adyashanti spricht nicht umsonst von 'falling into grace'.  Aber: auch das Suchen danach sucht man sich nicht aus- kein freier Wille! Soweit, so unbefriedigend, für jemand, der auf der Suche ist.

Kommen wir zu der 'guten' Nachricht, zumindest aus der Perspektive von 'davor':

Es gibt nach meinem Dafürhalten sehr wohl Methoden, Techniken, Übungen und Experimente, die einen Suchenden

a) in die Irre führen können oder aber

b) relativ straight gen torloses Tor geleiten können.

Wie sollte es auch anders sein, im Nondualen, im Absoluten? Da ist nichts zu viel, unnötig, schlecht und auch für den Dualismus ist jede Menge Platz. Ich meine, wtf?!- der Dualismus befindet sich ja sozusagen innerhalb des Einen, des Absoluten! Wieso soll denn da jetzt 'Lehre' auf einmal ein Unwort oder eine 'sinnlose' Beschäftigung sein- noch dazu sinnloser als irgendeine andere? Und sowieso: wer sagt eigentlich, dass niemand suchen darf? Und was ist mit jenen, die vielleicht einfach nur mal aus Neugier oder um des Verständnisses Willen eine vage Idee davon bekommen wollen, was es mit dem ganzen Nondualen auf sich hat? Denen, die einfach mal ein Experiment machen wollen?

Und woher will ein Richard Sylvester wissen, inwiefern seine lange Meditationspraxis keinen Einfluss auf sein Erwachen hatte? Hat er den anderen Weg mit 30 Jahre Alkoholismus denn ausprobiert und ist zum selben Ergebnis gekommen?

Und was ist mit den ganzen Risiken und Fallstricken, die es während des Erwachens definitiv gibt? Was soll daran falsch sein, sich jemand zu Hilfe zu holen, der den Weg den es nicht gibt, gegangen ist, um sich angesichts der Monstrosität, die das Schauen des Absoluten beinhalten kann abzusichern?

Nichts, natürlich. Wenn da Hilfe holen passiert, dann passiert eben genau das. Kein freier Wille!

Aber noch wichtiger: Wer, wenn nicht jemand, der auf der anderen Seite des Tores steht, soll einem sagen können, ob man sich dem Tor nähert oder vielleicht mitten im tiefsten Dickicht von 'Makyo' steckt? (Makyo heißt im Zen die sog. Teufelswelt- damit bezeichnet man das Phänomen, wenn Meditierende Halluzinationen u.ä. haben, aber diese fälschlicherweise für ein Satori oder Kensho, also Formen des Erwachens halten.)


Natürlich ist es vom Absoluten aus gesehen völlig egal. Alles. Und darüber hinaus ist da niemand. As in 'keiner'. Das heißt aber vielleicht auch, dass man dann eben konsequenterweise gar nichts mehr sagen sollte. Oder man sagt es eben trotzdem, erhebt aber keinen Anspruch auf Gültigkeit.

Oder man stellt diese Möglichkeiten vor und entscheidet sich für gar nichts davon...


Um das, was bisher bei all der Kritik zu kurz kam noch einmal zu betonen:

Nach passieren des Tores ist die Lektüre von Richard Sylvesters 'I hope you die soon!' für mich einfach sehr gute Unterhaltung gewesen. Ein echtes Lesevergnügen. Davor hätte ich es vermutlich an die nächstbeste Wand geschmissen. Denn: genauso wenig wie man sich frei dazu entschließt zu suchen, kann man einfach damit aufhören. Kein freier Wille!


Insofern finde ich es sehr gut, dass es auch Menschen wie Greg Goode gibt. Er hat u.a. ein Buch geschrieben mit dem Titel 'The Direct Path- a user guide'. Dieses Buch ist allen Suchenden mit Energie, Fleiß und dem Wunsch genau hinzuschauen wärmstens zu empfehlen. Es enthält etliche, extrem systematisch aufgebaute Experimente zur Wahrnehmung- sowohl 'innen', wie 'außen'.

Es ist sehr analytisch und kleinteilig- teilweise fast schon 'verkopft' und daher kein Buch, um es einfach mal in einem Rutsch durch zu lesen. Es ist vielmehr ein Handbuch, um sich den Weg gen torlosem Tor zu bahnen.

Eine 'Erwachens-Garantie' kann man natürlich für dieses Buch auch nicht aussprechen- jeder Weg ist anders und speziell. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass es für einen kleinen Blick über den Torbogen viele Hilfestellungen bietet. Überdies ist es für jeden 'Erwachten', der noch mit 'Kinderkrankheiten' zu kämpfen hat eine sehr gute 'Aufräumhilfe'. Zumindest konnte ich damit einige der noch vage vorhandenen letzten Fragen für mich beantworten. Umgekehrt ist es auch für 'Erwachte' ein guter Testlauf. Wenn Du von A-Z alle Experimente voll und ganz abnicken kannst ohne Stirnrunzeln und Ansatz von Zweifeln, dann bist Du wohl ziemlich sicher ziemlich wach- oder einfach verdammt gut darin, Dir in die Tasche zu lügen...denn andererseits: wenn Du wach bist, brauchst Du auch keinen Test mehr, wenn wir ehrlich sind ;-)


Für Interessierte, Skeptiker und Suchende ist das Buch jedenfalls sehr hilfreich. Auch für Menschen, die mit Spiritiualtitä so gar nichts am Hut haben, aber sich für Wahrnehmung, Bewusstsein oder Konsruktivismus interessieren- oder jene, die gerne wieder lernen wollen zu staunen.

Dadurch, dass es konkrete Übungen enthält, können sehr fantasiebegabte Menschen mit ihm auch das Risiko eindämmen, statt wirklich zu erwachen, sich nur eine bunte Zeit in Makyo zu machen. Im nondualen Sinne ist es natürlich egal- was passiert, passiert ohnehin. Aber vielleicht gibt es so ein praktikables Buch, wie das von Greg Goode genau zu dem Zwecke, Dinge nicht passieren zu lassen, die nicht passieren (sollen)? Vielleicht ist dieser Gedanke auch wieder nur ein kindlicher Ego-Anteil von 'mir' oder dem, was davon noch immer übrig ist- wer weiß?


Wie dem auch sei: Ich kenne einige dramatische Fälle, bei denen sich herzensgute Menschen bei ihrer mitunter verzweifelten Suche äußerst ungut in Makyo verlaufen haben. Gemeinsame Merkmale dabei sind oft eine lebhafte Fantasie, eine Tendenz zu naivem 'Wunderglaube', statt zu gesunder Distanz und fundamentale Defizite was Vertrauen angeht (in sich und andere). Aus Sicht von 'Konsens-Realität' dürften sich die meisten darin einig sein, dass das Feld 'geschlossene Psychiatrie' und anverwandte Felder nach Möglichkeit weiträumig umfahren werden sollten. Mag das hier alles noch so sehr ein Spiel sein und alles auf, wenngleich perfide Art auf Entertainment ausgelegt sein, so wie Jed McKenna es sieht- unter Psychopharmaka gesetzt und weggesperrt zu werden ist sicher für die meisten nicht unbedingt das, was sie sich so für ihr Leben/Spiel vorgestellt haben.


Die sehr wissenschaftliche (im besten Wortsinn gemeint) Vorgehensweise von Greg Goode und sein feiner Humor könnten dabei helfen, solche 'Aufwachunfälle' einzudämmen bzw. sie evtl. sogar verhindern. Allerdings ist das auch und gerade angesichts allem, was ich hier vorher gesagt habe natürlich hochgradig spekulativ, wenn nicht gar ausgedachter Unsinn und hat wenn überhaupt nur Relevanz in der 'Konsens-Realität'.


Vielleicht werde ich wirklich eines Tages einfach verstummen und fortan schweigen. Vermutlich dann, wenn ich vollständig die Nase voll davon habe, etwas per se konzeptloses, weil die Befreiung schlechthin bedeutendes ein ums andere Mal mit Worten, die per se Konzepte sind, beschreiben zu wollen. Bis dahin werde ich mich wohl hin und wieder in widersprüchliche Loop-Texte wie diesen hier verfatzen und absurd-lange Schachtelsätze mit Lindwurmworten formen...

In diesem Sinne: Ich hoffe niemand konnte mir folgen und das macht auch nix! Ich trinke dann jetzt erstmal ein Bier. Prost!