Innere Abrüstung

Die Welt ist in einem Besorgnis erregenden Zustand.

 

Aggression wohin das Auge blickt.

 

Aggression wird mit Aggression beantwortet.

 

Aber auch Schwäche wird mit Aggression beantwortet.

 

Angst wird mit Aggression beantwortet.

 

Trauer wird mit Aggression beantwortet.

 

Teilweise wird auch Sanft-, Gleich- und Edelmut mit Aggression beantwortet.

 

Sachlichkeit und Vernunft werden -natürlich- oftmals ebenso mit Aggression beantwortet.

 

 

 

Manchmal frage ich mich, ob es eigentlich außer gar keiner Antwort oder Aggression als Antwort noch irgendeine andere Antwort-Option für das Gros der Menschheit gibt? Aber bevor ich zu möglichen Lösungen komme, beleuchte ich zunächst mal das Problem etwas genauer.

 

In meinem Artikel vom Dezember hatte ich ja bereits eingehend den tiefsitzenden Selbstzweifel der meisten Menschen als Grundübel identifiziert. Selbstzweifel könnte man in dem Sinne so definieren: Eine tiefgreifende Angst, so wie man wahrhaft ist, abgelehnt und nicht geliebt zu werden, keine Wertschätzung zu erfahren. Selbstzweifel beinhaltet weiterhin die Befürchtung oder gar die grundsätzliche Überzeugung, nicht gut genug zu sein, nicht zu genügen, falsch zu sein.

 

Daraus resultieren oftmals zwei Mechanismen, aus denen ein dritter hervorgeht:

 

 

 

  1. Maskerade: Als logische Konsequenz aus der besagten Angst, wird es tunlichst vermieden, sich offen und authentisch zu zeigen, so wie man eben ist.

  2. Täter-Opfer-Komplex: Dazu gibt es auch bisher schon zwei Youtube-Videos von mir (Teil1; Teil 2). In aller Kürze hier auf den Punkt gebracht: Es wird teilweise die Täter-Perspektive übernommen und diese sowohl auf sich selbst (was dann eben im beschriebenen Selbstzweifel resultiert), als auch auf andere Menschen, die 'Opfer-Eigenschaften' zeigen angewendet. Somit werden ehemalige Opfer oft selbst zu Tätern- und helfen dadurch mit, den Selbstzweifel-Virus weiter zu verbreiten.

  3. Auf die traurige Essenz herunter gebrochen heißt das: Die ganze Menschheit läuft auf Angst. Angst sich zu zeigen, Angst (erneut) Opfer zu werden... Und selbst bzw. vielleicht sogar vor allen Dingen die Täter  haben Angst. Denn bei ihnen kommt noch die Angst hinzu, eventuell irgendwann mal bestraft zu werden, für ihre Taten...

 

Und weil wir alle auf irgendeine Art darauf konditioniert worden sind, auf Angst mit Aggression zu antworten, haben alle noch mehr Angst. Angst vor der Angst, zum Beispiel. Also muss noch mehr Aggression her. Und in Folge dessen, entsteht wieder noch mehr Angst- auf die wird wieder mit noch mehr Aggression geantwortet (inner- oder zwischenmenschlich ist dabei fast schon egal). Und so geht das immer weiter, schön die Eskalationsspirale rauf. Anders gesagt: Samsara, das berühmt-berüchtigte Rad des Leidens dreht sich immer schneller. Mir kommt's jedenfalls mitunter so vor, im Großen&Ganzen betrachtet.

 

Aber vielleicht sollte ich den einen Punkt erstmal genauer verdeutlichen, damit Du mir besser folgen kannst- denn nein, das hier soll natürlich nicht einfach nur ein Lamento auf die Schlechtigkeit der Welt im Allgemeinen und die der Menschen im Besonderen werden. Ich möchte ja gern was anrühren, bei Dir, lieber lesender Mensch. Widmen wir uns also mal für einen Moment der Frage: 'Was soll das heißen, wir seien alle darauf konditioniert, Angst (oder jedwede andre 'Schwäche', die gezeigt wird) mit Aggression zu beantworten?'

 

Hier ein paar Beispiele, um das zu illustrieren:

 

  • ein älteres Ehepaar geht eine steile, lange und breite Treppe am S-Bahnhof hoch und er rutscht aus. Sie erschrickt kurz (zuckt zusammen, Augen weiten sich, sowas eben), keift ihn aber postwendend an, was er denn da schon wieder für einen Scheiß machen würde blablub.

  • Ein kleiner Junge (5) fällt zu Hause die Treppe runter und tut sich dabei ordentlich weh. Die Mutter kommt vom Gepolter und Geschrei alarmiert um die Ecke geschossen, sieht den Jungen am Boden liegen, zerrt ihn hoch und ohrfeigt ihn.

  • Es gab meines Wissens mal ne Studie, die zeigen konnte, dass die körperliche Gewaltbereitschaft des Angreifers durch das Abwehrverhalten des Opfers beeinflussbar ist. Gelingt es bei drohender Gewalt ganzheitlich entspannt und 'leer' zu sein, lassen (potentielle) Angreifer schneller von einem ab oder fangen gar nicht erst an. Anders gesagt: Aggression triggert ggf. Angst- und diese Angst triggert ggf. Aggression. Hab dazu auch ein paar eigene Erfahrungen gemacht- erzähl ich demnächst mal auf meinem Youtube-Kanal.

  • Ein Schüler kommt im Unterricht nicht mit und wird von der Lehrerin verhöhnt: 'Na, wann bist du denn fertig? In drei Jahren oder was?'

  • Das Wort 'Opfer' wird inzwischen als Schimpfwort benutzt, mitunter auch noch verstärkt mit dem hämischen Zusatz Opfer-Abo...

 

 

 

Wieder und wieder lernt ein Mensch, Schwäche wird bestraft, abgewertet, verhöhnt. (Es gibt natürlich auch 'Schwäche' als Masche- das Phänomen hab ich in dem Artikel schonmal beschrieben, darum soll es hier aber nicht gehen.) Mitunter ist das Opfer auch die Person, die das kollektive Schweigen bricht. So sind mir z.B. etliche Fälle bekannt, in denen Kinder zu Opfern von Eltern und Familie wurden- teilweise durch sexuellen Missbrauch, teilweise 'nur' durch physische/psychische Gewaltexzesse. Und das ganze Haus, teilweise gar das ganze Dorf wusste davon- aber niemand sprach darüber. Ist ja auch viel weniger 'Arbeit' auf die Art. Alle können einfach weitermachen wie bisher und haben keine Scherereien. Dann brachen die jeweiligen Opfer irgendwann ihr Schweigen und wurden unangenehm hörbar. Und was passierte daraufhin? Sie wurden zu Buh-Menschen abgestempelt. Sie, nicht etwa die Täter waren die Spielverderber, die die kollektive Ruhe stören. So wurden sie erneut zu Opfern, erneut unrecht behandelt. (Nebenbei: Auch ohne selbst Opfer zu sein ist immer der oder die, der sagt, hey Leute, da steht ne Kuh auffem Eis! der Spielverderber...) Geht aber auch anders herum: Mir begegnen immer wieder Menschen- zuletzt sogar ein enges Familienmitglied- die ungeheuer aggressiv darauf reagieren, wenn Frauen eine Vergewaltigung nicht zur Anzeige bringen. Ist also in dem Sinne fast schon egal- bricht ein Opfer sein Schweigen, wird es dafür angepisst, bricht es sein Schweigen nicht, ist es auch falsch und es gibt wieder Schelte. Man kann also festhalten: Opfer sind schwach, Schwäche ist scheiße- und egal wie sich die Schwäche nun ausdrückt, es wird drauf rumgetrampelt.

 

Warum wird darauf herum getrampelt? Auch das ist in beiden möglichen Fällen eigentlich ein und derselbe Grund: Aus Hilflosigkeit (bei Mitwissern kommt dann sicherlich auch noch Schuldgefühl mit dazu, dass sie selbst darüber geschwiegen haben).

 

Tja und da haben wir es wieder: Denn natürlich kann man locker auch Hilflosigkeit und/oder Schuld und Schamgefühle als 'schwach' etikettieren. Und womit reagieren die meisten Menschen auf Schwäche? Genau, stimmt ja: Mit Aggression.

 

Und diesen Mechanismus kann man andauernd beobachten. Wir erinnern uns an die Silvesternacht von Köln, 2015/16. Neben sicherlich vorhandenen xenophoben bis hin rassistischen Ressentiments, fühlten sich angesichts der vielen Übergriffe auf Frauen große Teile der Bevölkerung schlicht und ergreifend hilflos. Und das auch völlig zu Recht. Denn ja, surprise, gegen ungewollte Angrabschereien ist auch im 21. Jahrhundert noch immer kein Kraut gewachsen. Weder hören Frauen (und andere 'angrabschenswerte' Individuen) auf ihre Wohnungen zu verlassen, noch hören die Angrabschenden (in aller Regel nach wie vor Männer) mit ihrer menschenverachtenden Kackscheiße auf. 'Glücklicherweise' konnte aber ein Sündenbock eindeutig (?) identifiziert werden: DIE Migranten warens- vor allem jedoch DIE Nordafrikaner- oder warens DIE Afghanen? Naja, nicht so wichtig- es waren auf jeden Fall halt keine Bio-Deutschen und das ist was zählt. Feindbild gefunden, schön drauf los gehasst- und schon ist man wieder wer und muss sich nicht so hilflos, ohnmächtig und klein fühlen, wie man es eigentlich ist.

 

Gibt unzählige weitere Beispiele dafür: Todesstrafe für Kinderschänder! Alle Moslems sind Terroristen, daher müssen alle Moscheen geschlossen werden! Kauft nicht bei Juden! Make America great again! Islam komplett verbieten! Ließe sich endlos fortsetzen. (Vor gar nicht allzu langer Zeit waren es hierzulande noch die Hartz4-Empfänger- kommt auch sicher wieder, sobald DER Islam endlich rausgekehrt wurde und 'unsere Frauen' endlich wieder nur von 'uns' begrapscht werden...)

 

Der Mechanismus ist immer der gleiche. Im autoritären Charakter, den ich hier in diesem Video näher beleuchte, findet sich dann die Zuspitzung par excellence. Solche Menschen haben es richtig derbe abgekriegt im Leben. Statt daraus eine Lehre gezogen zu haben, haben sie aus Selbstschutz viel von der Täterperspektive übernommen und werden selbst zu Tätern- fühlen sich dabei aber dennoch immernoch als Opfer. Solche Menschen sind in größter Unfreiheit aufgewachsen- und sie haben nie etwas dazu gelernt oder sich erfolgreich der alten Konditionierungen entledigt. Sprich: Sie sind nicht geheilt von dem, was ihnen widerfahren ist. Statt dessen suchen sie (meist unbewusst) ihr Heil im Täter-Sein. Alternativ schmeißen sie sich an die Täter ran, verehren sie, huldigen ihnen. Das ist bei Pegi-AFD-lern genau das Gleiche, wie bei ISIS-Kämpfern, Trump-Verstehern oder Putin-Freunden. Sie alle rackern sich dafür ab, sich stark fühlen zu können- weil sie ums verrecken (sic!) nicht ihre Schwäche spüren wollen. Das war für sie (damals zu Recht!) schon früher unerträglich- wieso sollte es jetzt anders sein (Antwort: Weil sie eigentlich inzwischen erwachsen sind und daher soviel Reife&Größe von ihnen zu erwarten sein müsste) ? Also weiter den wilden Mann markieren! Umso lauter man 'UggaUgga' brüllt und sich dabei auf die behaarte Brust trommelt, umso geringer die Chance, dass irgendwer merkt, dass in einem drin ein klitzekleines, verängstigtes Kind sitzt und eigentlich nur auf den Arm will. Und die Gegner machen das genau so. Und so geht das immer weiter, auch wenn nichts dadurch besser oder überhaupt nur anders wird.

 

Und wenn von den zu uns geflüchteten Menschen manche anfangen sich hier wie die Axt im Wald aufzuführen, muss die 'logische' Konsequenz natürlich hart durchgreifen, abschieben- ach was sag ich- am besten Kopf abschlagen!- heißen. Dabei ist eins klar: Wer hier komplett am Rad dreht und sich Scheiße benimmt, der oder die nimmt unsere Gesellschaft mit großer Wahrscheinlichkeit als 'schwächer' als das Herkunftsland und dessen Kultur wahr. Da ist mit großer Sicherheit was dran! Viele Geflüchtete kommen aus extrem rigiden, intoleranten Systemen- aus Staaten, wo zum Teil noch Steinigung und Hand abhacken zur 'normalen' Rechtsprechung gehören. Klar, aus der Perspektive ist unser Rechtsstaat ein verdammter Ponyhof. Aber wenn man sich nochmal auf den autoritären Charakter besinnt: Das ist doch gerade die Krux! Ein autoritärer Charakter- und das sind sicherlich die allermeisten Geflüchteten, die hier ungebührlich auffallen ebenso wie die, die diese hassen- hat nie gelernt, mit Freiheit verantwortungsvoll umzugehen. Da kann doch nicht ernsthaft die Lösung sein, diese unfrei hinkonditionierten Menschen erneut mit Zwang, Strafe, Gewalt und Hass- also noch mehr vom Selben 'zurecht zu biegen'! Das hatten diese Menschen zur Genüge- deshalb sind sie überhaupt erst so geworden!

 

Um aus diesem echt bekloppten Spiel auszusteigen braucht es ein radikales Umdenken. Wir alle müssen anfangen, durch die gewaltbereiten Fassaden, durch das Imponier-Gehabe hindurch zu sehen und die kleinen, angstvollen Kinder dahinter zu entdecken. Um die geht es. Die müssen wir ansprechen. Um die müssen wir uns kümmern. Bei uns selbst und bei anderen.

 

Ich war zum Beispiel neulich mal wieder in einer Notunterkunft für minderjährige Geflüchtete, im Rahmen von meinem Projekt Relax Refugees. Wir haben diesmal über die Frage, was macht Dich nervös/Dir Angst? gesprochen. Jedem der jungen Männer ist was eingefallen. Ich war sehr froh darüber, dass das Verhältnis so gut ist, dass sie mir überhaupt von ihren Ängsten erzählen- denn dazu mussten sie ja ihr Imponier-Gehabe bleiben lassen! Und das haben sie getan, was für manche eingedenk ihrer kulturellen Sozialisation sicher eine große Hürde war. Das allein war schon mehr Mut, als ich in diversen FB-Diskussionen mitunter bei angeblich erwachten 'spirituellen Lehrern' sehe. Und was sie preisgaben war so normal, so rührend menschlich. Diese Jungs haben Angst vor Gruppen zu sprechen, Spritzen zu bekommen, alleine zu schlafen u.v.m. Und: Keiner hat über einen anderen gelacht in der Stunde. Im Gegenteil. Ich hab dann ausgeführt, dass sie sich das auch in Konflikten klar machen sollen- dass vermutlich ihr Gegenüber mindestens genau soviel Angst hat, wie sie selbst. Und dass man sich doch auf der Ebene treffen könnte. Da konnte man in manch Gesicht sehen wie etwas 'Klick' gemacht hat. Und das müssen wir alle tun, wenn wir endlich mal ein anderes Spiel spielen wollen, als das, was seit Jahrhunderten, wenn nicht gar Jahrtausenden gespielt wird. Wir müssen verlernen, auf Schwäche mit Aggression zu 'antworten'. Und wir müssen beginnen, auf die Schwäche adäquat zu reagieren. Und dazu müssen wir genauer hinsehen, tiefer. Und (mit)fühlen.

 

Zum Beispiel ging es neulich bei einem meiner Scoutlinge um sein Zittern, was besonders stark ist, wenn er vor fremden Menschen souverän erscheinen muss. Er war jahrzehntelang wütend auf diese Schwäche- wollte sie weg haben und hat sich enorm geärgert, dass das Zittern davon nicht weniger wurde. Typisches Angst-->Aggression-Reaktions-Schema also. Ich fragte ihn, wenn er sich ein kleines, verängstigtes, zitterndes Tierchen vorstellt, ob er dann auch Lust bekommt, darauf mit Wut zu reagieren. Er verneinte das, natürlich. Ich gab ihm also die Aufgabe in Zukunft seinem Zittern ebenso mitfühlend und zugewandt zu begegnen, als sei es das Zittern eines kleinen Tierchens in großer Angst.

 

Ein Weilchen später meldete er mir zurück, er würde sich inzwischen regelrecht auf solche Zitter-Situationen freuen, weil er sich dann wieder innerlich selbst in den Arm nehmen könne, um sich zu beruhigen und trösten. Das Zittern ist auch schon weniger geworden- so oder so ist es in kurzer Zeit von einem 'riesen' Makel zu einer schönen Aufgabe in puncto Selbstliebe geworden und kein Problem mehr, was eliminiert werden muss.

 

Ich bin durch meine Arbeit in der glücklichen Position, dass mir Menschen ihre Schwächen offenbaren. Was soll ich sagen? Mich berührt das einfach. Es ist wunderschön. Es gibt fast nix schöneres, als wenn jemand sich ganz schutzlos und offen zeigt- und dabei ist es seltsamerweise völlig egal, was sich da dann zeigt. Das zeigen an sich ist einfach wunderschön- egal was sich dabei vielleicht für 'Abgründe' auftun. Das sind ja alles keine Heiligen, die mich als Scout anheuern. Niemand ist im naiven Sinne 'heilig'. In so einem Moment, wenn sich jemand mir offenbart, sich z.B. als eben jener autoritärer Charakter 'outet'- dann wird das, was offenbart wird ja nicht verteidigt, sondern als schlimm und mitunter verabscheuungswürdig gesehen. Und in solchen Momenten könnte ich platzen vor Liebe und Mitgefühl. Ganz egal, was der oder diejenige vielleicht aufgrund der Konditionierung irgendwann mal Schreckliches angestellt hat. Wenn da jemand ganz zerknirscht vor mir sitzt und sich schäbig vorkommt- dann beeindruckt mich dieser Mut, diese Ehrlichkeit und wirkt stärker, als jedwedes Macht-Gepimmel der Welt wirken kann. Da trete ich nicht nach oder rein. Da geht mir das Herz auf und ich sehe das kleine geschundene Wesen, was unendlich traurig über die Abwege ist, auf das es geraten ist- oftmals, ohne das je ernsthaft gewollt zu haben. Und ich sehe die Tapferkeit und Aufrichtigkeit des gerade ein Stück gewachsenen Erwachsenen vor mir- und da hab ich keinen Respekt vor, das Wort stinkt eh furchtbar nach Zucht&Ordnung- nein, da hab ich Hochachtung vor!

 

Und ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass ich dahingehend eine Ausnahme sein soll. Ich kann- und will- mir auch nicht vorstellen, dass ich so erheblich viel weiter in puncto Menschwerdung sein soll, dass nur ich sowas sehen und entsprechend reagieren kann. Nein. Ich bin ein ganz gewöhnlicher, unbedeutender Mensch. Nichts besonderes. Auch 'erwacht' zu sein ist, wenn man es sich mal ganz genau überlegt, nichts besonderes. Und für das, was ich hier anspreche ohnehin auch gar nicht notwendig. Wenn ein paar geflüchtete Teenager trotz sprachlicher Barrieren und kultureller Unterschiede in 5 Minuten kapieren können, dass Aggression eine verdammt blödsinnige Antwort auf Schwäche ist- dann sollte jeder Mensch dazu in der Lage sein, das zu raffen!

 

Wir müssen alle an unserer inneren Abrüstung arbeiten. Tun wir das nicht, ab sofort, mit all den uns zur Verfügung stehenden Kräften, wird die Menschheit sich selbst vernichten. Und das vermutlich verdammt schnell. Ich gebe uns nur wenige Jahrzehnte- wenn überhaupt.

 

Wir müssen auf Angst mit Zuspruch, mit Trost und Beruhigung reagieren.

 

Gleiches gilt für Misstrauen.

 

Auf Hetze und Hysterie müssen wir mit Vernunft reagieren- aber auch hier mit Zuwendung, mit Interesse, mit Nachfragen, mit Verstehen wollen.

 

Am schwersten wird es sein, auf Aggression nicht mit Aggression zu reagieren. Schon klar, ich bin ja nicht bescheuert. Mich reißt sie auch mitunter mit sich, die Eskalations-Spirale. Ist ja aber kein Grund, es deswegen ganz zu lassen- im Gegenteil! Jedesmal, wenn ich es nicht hingekriegt habe, ruhig, zugewandt und verständnisvoll zu agieren, ist das umso mehr ein Grund, die Bemühungen zu verstärken. Laufen, hinfallen, aufstehen- weiter geht’s! So funktioniert lernen- und verlernen ebenso!

 

Der letzte Typ (bisher jedenfalls) der mir in meinem Leben ungefragt an den Arsch gegriffen hat wurde nicht wie der vorletzte ins Gesicht geboxt (da war ich noch extrem wütend und verletzt von dem Verhalten)- nein- den letzten Typ, der das in einer Menschenmenge gemacht hat, den habe ich vor all diesen Menschen beschämt, indem ich laut und für alle hörbar, aber ohne Aggression angesprochen habe, was er da getan hat. Der Mann bekam einen hochroten Kopf und schlich sich schnell von dannen. Ich hab ihn also nicht mit purer Aggression 'gestraft' -nein, stattdessen hab ich ihn auf der Ebene angesprochen, die uns verbindet- auf der des Mensch-Seins und der 'Brüderlichkeit'- auf der Ebene, wo 'man' sowas einfach nicht macht, herrgottnochmal! Ich hab noch heute seinen Gesichtsausdruck in Erinnerung, obwohl das schon ca. 7 Jahre her ist- ich fress nen Besen, wenn er sowas danach jemals wieder gemacht haben sollte. Kann aber natürlich dafür nicht die Hand ins Feuer legen.

 

Ich will damit zum Ausdruck bringen, dass ich natürlich nicht der Ansicht bin, man dürfte sich nicht wehren, sollte immer schön still halten und sich alles gefallen lassen und wenn überhaupt nur versuchen, den Gegner zu Tode zu kuscheln. Keineswegs! Aber verdammt oft geht das deutlich besser, wenn man das ganz anders angeht, als die meisten von uns das gelernt haben. Und zwar wenn mensch versucht, dem andern Menschen auf der Ebene der Gleichwertigkeit und 'Brüderlichkeit' (doof, dass es das nicht gender-neutral gibt, das Wort, aber so sei es...) zu begegnen.

 

Es ist dringend an der Zeit für was Neues, wenn wir uns als Ganzes nicht abschaffen wollen. Lasst uns innerlich Abrüsten- and the rest will follow!

Bist Du dabei?

 

 

 

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Kommentare: 8
  • #1

    Gabi (Montag, 13 März 2017 18:12)

    Liebe Evar, das war und ist mein tägliches Brot als Sozialarbeiterin. Habe den Job gewechselt von Jugendsozialarbeit - und da waren oft Begegnungen dabei, die Du oben beschrieben hast - in "normale" Kinder- und Jugendarbeit. Es fühlte sich für mich oft wie ein Kampf gegen gesellschaftliche Windmühlen an. Dieses sich Zeigen, in Allem, war oft nur in kleinen Gruppen oder in der Einzelbegenung möglich. Diese tief sitzende Konditionierung, der auch ich fühlbar oft noch unterworfen bin, ist sehr stark und es braucht meiner Meinung einen Leader, der das von "Oben" wirklich durchbrechen, ansprechen und mit gutem Beispiel vorangehen kann/will. Einen sogenannten "Erwachten", klaren Geist, der zu wirklicher Führung fähig ist. Das ist ein großes Problem...in Schulen, Firmen, Wissenschaft. Sonst bleibt es eine schöne Idee und wir wundern uns immer noch, warum es so ist wie es eben ist. Dein Idealismus in Ehren, aber solange keine "geklärten" Menschen" Verantwortung in Organisationen, egal welcher Art, übernehmen, wird sich nix ändern. Die meisten "Aufgewachten" ziehen sich in die Leere zurück und kämpfen auf ihre Art und Weise z. B. auf fb...zumindest mein Eindruck.

  • #2

    Egobuster (Montag, 13 März 2017 22:32)

    Hi Gabi!

    Ein Leader muss, wenn es kein Diktator ist, erstmal nach 'Oben' gelangen. Und ein Leader, wie er Dir vorschwebt kann angesichts der besagten Konditionierungen gar nicht genug Zuspruch erhalten, um mal eben nach 'Oben' zu kommen. Ich kann diesen Wunsch dennoch total gut nachvollziehen- aber egal wie geklärt ein Geist auch ist- es ist und bleibt ein Kampf gegen Windmühlen. Sieht man auch gut daran, dass es ja durchaus 'geklärte' Menschen (toller Begriff übrigens!) gibt, die Verantwortung übernehmen- und/oder anderen in solchen Positionen bei ihrer Entwicklung zur Seite stehen (ich hab unter meinen Fittichen neben dem ein oder anderen Geschäftsführer auch zwei Psychiater und einen Polizisten...). Aber weder ich, noch irgendjemand sonst, kann Wunder vollbringen. Höchstens das Wunder, sich nciht von all dem Gegenwind entmutigen zu lassen...
    Schlussendlich muss aus meiner Sicht jeder und jede bei sich anfangen- damit wäre, mit oder ohne Leadership schon enorm viel gewonnen- und es wäre dann immernoch ein weiter, steiniger Weg. Jedoch wenigstens einer, der sich lohnt.
    :-)

  • #3

    Silke (Montag, 13 März 2017 22:41)

    Liebe Verena,

    wieder einmal mehr ein toller Artikel von Dir!
    Vielen Dank und liebe Grüße,
    Silke

  • #4

    Egobuster (Dienstag, 14 März 2017 00:26)

    Liebe Silke!
    Herzlichen Dank! Freut mich, wenn's gefällt!
    Alles Liebe!

  • #5

    Gabi (Mittwoch, 15 März 2017 07:03)

    Liebe Evar, dass jeder und jede bei sich anfangen muss, setze ich mal voraus und ich habe den Eindruck, dass die meisten Menschen - und ich komme sowohl durch meine Arbeit, als auch im Privaten mit sehr vielen Menschen zusammen - auch wirklich sich selbst anschauen wollen und versuchen das Beste für sich Selbst und für die Anderen zu tun. Doch die meisten - inclusive mir - kommen da halt immer an ihre Grenzen und bräuchten da jemanden, der Ihnen in bestimmten Situationen zur Seite steht oder einfach Zuspruch gibt. Dieser manchmal unerträgliche (negative) Gedankenstrom, dem dann oft geglaubt wird, macht einen oft hilflos und wirbelt einen durcheinander, so dass klares Denken einfach schwer fällt und große Unsicherheit hinsichtlich seines eigenen Handelns entsteht. LG Gabi

  • #6

    Egobuster (Mittwoch, 15 März 2017 23:53)

    Hi Gabi!

    Ich seh das zwiespältig: Ich bin fest davon überzeugt, dass jeder Mensch im innersten inhärent gut ist, Friede, Heilung, Glück etc. anstrebt. Allerdings sind die meisten Menschen auch recht unreif, viele davon sind schlicht und ergreifend faul, vor allem aber besteht eine extrem große Angst, sich unschönen und schmerzhaften Dingen zuzuwenden. Daher bin ich da nicht ganz so optimistisch wie Du, ob wirklich die meisten ernsthaft sich selbst anschauen wollen.
    Nicht einmal alle, die mich anfragen wollen das wirklich- zwar zum Glück die meisten- aber eben nicht alle...
    Die gute Nachricht ist aber: Wer das wirklich ernsthaft will- dem wird es auch gelingen, früher oder später. Und sobald der klare Entschluss da ist, findet sich Unterstützung auch auf 'wundersame' Weise ein- Du klickst 'zufällig' auf bestimmte Youtube Videos, blätterst 'zufällig' ne bestimmte Seite in einem Buch auf- solche Sachen passieren dann mehr und mehr.
    Zu guter letzt noch ein paar Infos für Dich: Neben meinen Workshop-Angeboten, die erfahrungsgemäß auch sehr unterstützend wirken können, bestehen noch weitere Möglichkeiten:
    1. Scouting light: läuft schriftlich über mein Forum und ist bezahlbar (40 €/Monat)
    2. Aktuell sieht es auf meiner Warteliste fürs Scouting gut aus- heißt es sind gerade ausnahmsweise nur 3 Leute auf der Liste, wär also ein guter Zeitpunkt, sich 'anzustellen'
    3. Ich mache auch bei akuten bzw konkreten Problemstellungen Einzelsitzungen, ohne längerfristig-kontinuierliche Begleitung
    Wenn Dich davon was anspricht, schreib mir gern übers Kontaktformular, dann schauen wir, was ich für Dich tun kann!
    So oder so: Alles Liebe- und nicht verzagen!
    :-)

  • #7

    Subhash (Mittwoch, 26 April 2017 18:41)

    Dankeschön für diesen Text!

  • #8

    Klaus (Dienstag, 17 April 2018 08:21)

    Ja, liebe Verena, da bin ich gern dabei. Bei mir selbst anfangen und auf meine eigene Ängstlichkeit nicht mit Agression zu reagieren. Mich selbst nicht dafür runter machen für meine Schwächen und mir meine Taten der Vergangenheit verzeihen. Erst mal fühlt sich das gut an nur das zunächst mal als Worte zu formulieren und mal schauen, wie mir das gelingt. Habe gerade in jüngster Vergangenheit gedacht, ich müsste mit Selbstbehauptung und Stärke auf verbale Angriffe reagieren. Klar, die Erfahrung war auch gut, aber im Agressor habe ich auch dieses kleine verletzte, hilflose Kind gesehen. Und das hat mir dann leid getan, erst dass ich mit Selbstbehauptung reagiert habe, aber das sehe ich heute als richtig an und jetzt einfach nur mein Mitleid zu spüren und das sehe ich jetzt auch als richtig an. Stark zu sein, sich notfalls behaupten zu können, bereit sein sich zu schützen, falls erforderlich und gleichzeitig dieses arme, verletzte Kind im Gegenüber zu sehen. Mal schauen, wie es mir in Zukunft gelingt. Danke für deinen Artikel.
    Ganz liebe Grüße
    Klaus