Über Schmerz, Leid und warum innere Kinder nicht zum spielen rauskommen sollten

Schmerz ist unvermeidlich- Leid ist optional.

So lässt sich griffig eine der wichtigsten Erkenntnisse aus dem Buddhismus zusammen fassen.

Mit Schmerz ist an dieser Stelle spontanes Missempfinden gemeint. Von ganz trivialen Dingen, wie sich den Zeh am Tischbein zu stoßen über chronische körperliche Schmerzen bis zu schmerzhaften Gefühlen, wie Machtlosigkeit oder purer Trauer.

Schmerz in diesem sehr weitgefassten Sinn lässt sich von Leid auch deutlich durch die zeitliche Dimension abgrenzen.

Ich habe mir zum Beispiel vor etwa 8 Jahren das Kreuzband im Knie gerissen. Das tat selbstverständlich weh- ich hatte Schmerzen. Überdies beendete dieser Unfall aber auch meine recht gut laufende Karriere als Tänzerin- aus diesem Umstand erwuchs sehr großes Leid.

Befeuert und immer weiter am Laufen gehalten wurde dieses Leid natürlich von meinen Gedanken darüber. Selbst als es mir nach einer Weile besser ging, ich mich wieder etwas gefasst hatte und mein Psychologie-Studium begann, hörte mein Leid über die abrupt beendete Tanzlaufbahn immer noch nicht vollständig auf. Ich vermied es nur relativ erfolgreich, mich mit ehemaligen Kollegen zu treffen oder in Tanzstudios rumzuhängen und verdrängte die Sache.

Aber mein Knie machte nicht mit bei der Verdrängung. Es schmerzte jahrelang bei jedem Schritt. Ich vermied es, auch nur wenige Meter zu rennen und hörte auch auf, Freunden beim Umzug zu helfen. Dennoch schmerzte das Knie weiterhin. Täglich, permanent.

Glücklicherweise lernte ich durch Achtsamkeit und Meditation einerseits, mir meiner Gedanken bewusster zu werden und andererseits, den gegenwärtigen Moment zu akzeptieren, wie er ist.

So wurde mir recht schnell klar, dass ich gedanklich total auf Kriegsfuß mit dem schmerzenden Knie stand. Da waren Gedanken wie: 'Muss das Scheißknie schon wieder weh tun? Oh man, wie mich das nervt! Ich könnte kotzen!'

Also nicht gerade das, was man gemeinhin liebevoll und zugewandt nennen würde. Von Akzeptanz keine Spur.

Ich bewegte mich, sobald ich das erkannt hatte dann erstmal von total negativ in Richtung stoischem Umgang. Mit sowas wie 'Okeeee, da ist es wieder und tut weh. Mhm. Soso.' im Sinne.

Je stärker die Achtsamkeit, der innere Beobachterposten, in mir wurde, umso mehr entwickelte sich mein Umgang weiter zu 'neutral'. Ich dachte gar nicht mehr und schenkte dafür meinem direkten (Schmerz)Erleben die volle Aufmerksamkeit. Schaute mir jedes kleinste Detail, jede minimale Veränderung (Schmerz bewegt sich, changiert, schillert) genau an, ohne Wertung oder Kommentar dazu im Kopf.

Dann setzte eines Tages spontan die innere Omi ein. Ich begann mich liebevoll und fürsorglich Zuzuwenden. Innerlich dabei in etwa sowas gurrend wie: 'Ach, mein armes, liebes Knie! Geht es dir gerade nicht gut? Ach, das tut mir leid. Hier hast Du einen Kakao und eine warme Wolldecke, setz Dich zu mir ans Kaminfeuer, ja?'

Wunderbarerweise habe ich durch diese Entwicklung nur gewonnen.

-ich habe einiges über 'mich', im Sinne von diesem body/mind-Set erfahren

-ich habe meinen Stress bzgl. der Knieschmerzen im Lauf der Zeit auf annähernd Null reduziert

-Frequenz und Intensität der Schmerzen sind deutlich zurückgegangen

-ich kann das Gelernte auf vergleichbare 'Probleme' übertragen und zwar von Anfang an, ohne mich erst ewig über irgendeinen auftauchenden Schmerz zu nerven

Ein voller Erfolg also. Und mit ein Grund, weshalb ich von Achtsamkeit und Meditation so begeistert bin, dass ich gerne dazu Workshops, Kurse, Einzelcoaching usw. gebe.

Es muss nicht immer und unbedingt gleich um 'Erleuchtung' gehen. Meditation und Achtsamkeit sind extrem hilfreiche Methoden, um mit sich und in der Welt gelassener klarzukommen -- ganz unabhängig davon ob, bzw. auch schon lange bevor man sich für das Erwachen interessiert.

Es kann einem beispielsweise auch dabei helfen, das innere Kind nachreifen zu lassen.

What?

Ja, das hab ich gerade geschrieben. Das innere Kind nachreifen lassen.

Ja, ist schon klar:

-erstmal sich eingestehen, dass da eins ist,

-dann sich damit bekannt machen,

-dann es lieb haben und heilen....

- aber dann, irgendwann in nicht allzu weiter Zukunft:


Let it the fuck grow up!!!



Dieser Aufforderung wirst Du, lieber lesender Mensch, sofern Du schon beim letzten Punkt (heilen) angekommen bist, vermutlich sogar nach einigem Überlegen nachkommen. Da mache ich mir keine echten Sorgen.

Das viel größere 'Problem' sehe ich bei Menschen, die es schaffen abzubiegen und irgendwie darauf kommen, dass es eine prima Sache wäre, ihr inneres Kind andauernd raus ans Tageslicht zu zerren und anderen Leuten auf den Schoß zu setzen, damit diese es lieb haben und heilen...

Leute, es heißt nicht umsonst 'inneres' Kind!

Anders gesagt: Verdammt, ich liebe Dich, keine Frage- aber Dein inneres Kind, dass musst Du schon selber lieben!

Also, wenn Du zu dem beschriebenen Personenkreis gehörst, hör bitte auf, Dein verletztes inneres Kind als Entschuldigung für Deine Aufmerksamkeits-Sucht zu missbrauchen.

Lieber lesender Mensch, das klingt jetzt gerade sicherlich sehr böse, aber ist Dir vielleicht selbst schon mal aufgefallen, dass der typische Kokser-Narziss aus den 80ern inzwischen weitestgehend durch den Emo-Psycho verdrängt wurde? Die Befindlichkeits-Hysteriker? So Menschen, die sich andauernd verletzt und von irgendwas gestört fühlen und das sehr wortreich und nimmermüde allen und allem mitteilen oder es zumindest versuchen? Menschen, die, wenn man sie fragt, wie es ihnen geht mit einem anderthalbstündigen Monolog aufwarten? Kennste nich? Doch, oder? Also ich schon. Ist aus meiner Sicht so eine neue Mutation von Egomanie und Narzissmus. Aber das eigentlich 'Schlimme' ist ja gar nicht, ob und wie solche Menschen ihre Umwelt terrorisieren, sondern dass sie sich selbst am allermeisten damit schaden. Gefangen in einem infinite Loop. Das käme meiner Vorstellung einer Hölle ziemlich nahe, wenn ich eine Vorstellung davon hätte.

Um etwas konstruktives zur Sache zu sagen, greife ich zur kürzesten Intervention der Welt und richte nochmal das Wort an diese Menschen und sage:


Stop it!!!


Was ich damit sagen will:

Die einzige Möglichkeit, dem sprachgestützten Perpetuum Mobile der Selbstbezogenheit ein Ende zu setzen, ist, damit SOFORT aufzuhören. Erkenne den Bullshit und lass ihn sein! A thought is just a thought!


Nur damit man mich nicht falsch versteht:

Ich habe absolut nichts gegen kindliches Erleben und Verhalten. Dazu brauche ich aber kein 'inneres Kind'- dazu brauchte ich die Befreiung. Die Befreiung durch die Erkenntnis, dass 'ich' eigentlich gar nicht ICH bin- denn ICH bin Bewusstsein (so wie DU). Und ein 'ich' so wie 'ich' dachte, das gibt es gar nicht. Erwachen halt.

Wenn da jetzt kindliches Staunen oder Albernheit oder einfach Energie, die einen elektrisiert und rum zappeln lässt ist, dann passiert das auch. Und kein inneres Kind und kein ausgedachtes Selbst etc. sind dabei im Weg.

Seit mein inneres Kind vor einem knappen Jahr rapide alterte und zu einer alten, weisen, weißhaarigen Frau wurde, ist mir jedenfalls auch aufgefallen, dass da deutlich weniger inneres Gequengel herrscht.

Gar nicht so übel eigentlich. ;-)

In dem Sinne erkenne ich auch an, dass die Bezeichnung und das Konzept 'inneres Kind', genauso wie die weiter oben erwähnte 'innere Omi', hilfreich auf dem Weg sein können. Außerdem haben sie auch einen gewissen Unterhaltungswert.

Nur beherzige den Part bzgl. 'innen' bitte. Lass diese Anteile 'in' Dir wirken, durchschaue das Prinzip- und daraus wird sich unweigerlich auch was im 'Außen' entwickeln. Gänsefüßchen, denn 'there is no 'out there' out there!

Aber ganz ohne Gänsefüßchen, worauf ich hinauswill ist: Der wahre Guru ist in Dir. Hör auf ihn.


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Kommentare: 3
  • #1

    Erna Meldezisch (Sonntag, 01 November 2015 04:31)

    Weißt Du, meine Liebe...
    Da lese ich diesen Text und denke:
    Wow! Was für ein Glück, dass Dir damals das Knie zerfetzte! Als Tänzerin wärst du wahrscheinlich nie hier angelangt.
    Wir wissen halt meist erst später, wozu das Universum einem solche Stolpersteine serviert.
    (Stephen Hawking sagte mal sinngemäß, er empfinde für nichts im Leben mehr Dankbarkeit als für seine Behinderung)
    Weitermachen!

  • #2

    Margret (Sonntag, 16 Oktober 2016 09:13)

    Mit einem lachenden und weinenden Auge hab ich erkannt,dass ich mit 68 Jahren
    immer noch verhindern möchte
    dass aus dem Inneren Kind eine
    WEISSHARIGE Alte wird

  • #3

    Egobuster (Sonntag, 16 Oktober 2016 11:51)

    :-)